David gegen Goliath

Von Redaktion · · 2015/05

„Wenn wir, die Achuar, kämpfen, dann verlieren wir nicht“, sagt Pedro Arly, Ältester der indigenen Gemeinde Saukí. Die Fakten geben ihm recht: Das Volk der Achuar hat tatsächlich den mächtigen US-amerikanischen Ölkonzern Oxy erfolgreich vor Gericht gebracht. Valentina Stackl hat die Hintergründe recherchiert.

Adolfina García Sandi hat elf Kinder zur Welt gebracht. Acht von ihnen sind noch am Leben. Sie ist sich sicher, dass zwei von ihnen nur deshalb gestorben sind, weil sie Wasser aus dem kontaminierten Río Corrientes getrunken haben. Der Fluss wälzt sich durch den üppigen Regenwald im Amazonasgebiet Perus, nahe der Grenze zu Ecuador. Zwischen 1971 und dem Jahr 2000 hat hier der US-Konzern Occidental Petroleum (Oxy) nach Erdöl gebohrt. Adolfina gilt im indigenen Volk der Achuar als eine respektierte Anführerin und ist in den Gemeinden auch als „madre indígena“ bekannt. Seit fast einem Jahrzehnt kämpft sie gegen den Ölkonzern – vor Gericht und auch außerhalb. Jetzt haben die betroffenen fünf Gemeinden mit Oxy einen außergerichtlichen Vergleich geschlossen – dieser Kampf ist vorbei.

Die Klage hatten die fünf Achuar-Gemeinden (Antioquía, José Olaya, Nueva Jerusalén, Pampa Hermosa und Saukí) und ihre Rechtsberaterinnen und -berater von EarthRights International bereits 2007 in den USA eingebracht. Darin warfen sie Oxy vor, durch die Kontaminierung des Flusses und seiner Ufer für Todesfälle, für die Vergiftung vieler Bewohnerinnen und Bewohner und die Zerstörung ihrer traditionellen Lebensform verantwortlich zu sein. Die Achuar sind auf das Flusswasser in vielfacher Weise angewiesen: Sie trinken es, baden darin, sie waschen die Wäsche und sie fangen Fische. Ihre Dörfer haben sie direkt am Ufer errichtet, die Kinder verbringen einen guten Teil des Tages im Wasser.

Lebensbedrohliche Profitmache. Oxy war fast dreißig Jahre lang in einer Region tätig, die „Ölfeld 1-AB“ heißt und zu den größten Fördergebieten Perus gehört. Dabei wurden veraltete technische Methoden angewandt, die in den USA längst verboten sind. Im Lauf der Jahre soll die Firma neun Milliarden Barrel (Fass zu 159 Liter) an Abwasser in das zuvor unberührte Regenwaldgebiet abgeleitet haben. Pro Tag rannen bis zu 850.000 Barrel in die Gewässer, die eine Lebensgrundlage der Achuar sind. In der Klage wurde Oxy zudem beschuldigt, Rohöl, Flüssigkeit zur Bohrspülung und giftige Nebenprodukte in nicht isolierten Gruben gelagert zu haben, die direkt bei den Förderstellen ausgehoben wurden. Diese Tümpel gingen oft über; die Flüssigkeiten rannen in den Río Corrientes oder sickerten in den Boden und ins Grundwasser. Die Argumentation der Kläger wurde durch wissenschaftliche Studien untermauert, darunter eine Untersuchung, die das peruanische Gesundheitsministerium im Jahr 2006 unter den Achuar dieser Region durchgeführt hatte. Danach wies das Blut von so gut wie allen Untersuchten gesundheitsschädlich hohe Cadmium- und Bleiwerte auf.

Die Achuar, die sich der Gefahr lange nicht bewusst waren, tranken weiter das Flusswasser, badeten darin und aßen die gefangenen Fische. Wenn sie auf dem Wasser einen Ölfilm sahen, schoben sie ihn vor dem Trinken bloß beiseite. Doch dann starben immer mehr Fische und Vögel; Hunger machte sich breit. Zahlreiche Achuar wurden krank, manche starben sogar. Das war der Zeitpunkt, zu dem sich die fünf Gemeinden mit „Amazon Watch“, einer nordamerikanischen NGO, zusammentaten und über die Anwältinnen und Anwälte von EarthRights International eine Klage gegen Oxy einbrachten – und zwar nicht in Peru, sondern in Kalifornien, wo die Ölfirma ihren Hauptsitz hat.

Einigung nach Klage. Nach einem der 25 im Namen ihrer Gemeinschaft auftretenden Kläger wurde der langwierige Fall vom Gericht „Maynas Carijano gegen Occidental Petroleum“ genannt. Zum ersten Mal haben damit indigene Gemeinschaften in Peru und im gesamten Amazonasgebiet eine Firma wegen der von ihr verursachten Umweltschäden direkt geklagt. Zuvor versuchten solche Gemeinschaften oft, durch die Einschaltung von Regierungsstellen oder der interamerikanischen Einrichtungen der Organisation Amerikanischer Staaten (OAS) zu ihrem Recht zu kommen.

Über die Details der außergerichtlichen Einigung zwischen den Achuar-Gemeinden und Oxy wurde – wie in solchen Fällen oft üblich – Stillschweigen vereinbart. Die Geldbeträge, die Oxy zur Verfügung stellt, fließen in den neu geschaffenen „Entwicklungsfonds Alto Corrientes“ (FODAC), der in den fünf betroffenen Gemeinden am Oberlauf dieses Flusses Projekte in den Bereichen Gesundheit, Erziehung und Wirtschaft finanzieren soll. Pablo Kukush Sandi, der gewählte Präsident von FODAC, kündigte an, dass alle Projekte von den fünf Achuar-Gemeinden kollektiv und demokratisch beschlossen werden sollen.

Früher gab es im Fluss jede Menge Fische, doch seit dem Beginn der Ölförderung fällt es den Anwohnerinnen und Anwohnern schwer, genügend Nahrung für ihre Familien zu finden. „Die Gemeinden wollen mit den Investitionen erreichen, dass jede Familie ihre eigene Fischfarm aufbauen und davon leben kann“, sagte Kukush.

Kein Ende in Sicht. Während dieses Kapitel des Kampfes der Achuar gegen die Ölfirmen abgeschlossen ist, sind etliche andere weiterhin offen. Öllecks und deren unzureichende Bereinigung gibt es auch unter der Verantwortung von Pluspetrol, jener argentinischen Firma, die die Bohrkonzession im Jahr 2001 von Oxy übernommen hat. Bei einer der Ölverladestellen am Río Corrientes kam es im Jänner und im Februar dieses Jahres zu Leckagen. An der Beseitigung der Schäden wird noch immer gearbeitet.

Die Achuar und das benachbarte Kichwa-Volk kämpfen mit unterschiedlichen Methoden gegen solche Bedrohungen. Zu Jahresbeginn besetzten Angehörige beider indigener Völker die von Pluspetrol betriebene Ölförderbasis Jibarito und paralysierten die Produktion von 14 Ölquellen. Die Firma verliert dadurch tausende Barrel Öl pro Tag. Den Besetzerinnen und Besetzern geht es darum, ihren Forderungen gegenüber dem Staat und den Ölfirmen Nachdruck zu verleihen. Im kommenden August wird die Förderkonzession für das Ölfeld 192 neu ausgeschrieben, Pluspetrol soll an einer Erneuerung seiner Förderrechte interessiert sein. Die Indigenen bestehen darauf, dass ihr Recht auf vorhergehende Konsultation respektiert wird, wie es die von Peru ratifizierte Konvention 169 über die Rechte indigener Völker der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) vorsieht.

Der Ausgang dieser Auseinandersetzung am Río Corrientes ist noch offen. Die Vereinbarung zwischen den fünf Achuar-Gemeinden und Oxy wurde dagegen bereits am 5. März bei einer Pressekonferenz in Lima bekannt gegeben, an der auch Korrespondentinnen und Korrespondenten internationaler Medien teilnahmen. Adolfina García Sandi und weitere Vertreterinnen und Vertreter der betroffenen Gemeinden zeigten sich dort mit dem Ergebnis zufrieden. Adolfina erinnerte aber auch an den Preis, den sie zu zahlen hatte: „Meinen verstorbenen Kindern können die Entwicklungsprojekte nicht mehr helfen. Aber ich habe die Hoffnung, dass sie meinen Enkelkindern ein besseres Leben ermöglichen werden.“

Valentina Stackl, die in den USA „Public Health“ und Kommunikation studiert hat, recherchierte den Achuar-Fall in Lima und in den Gemeinden am Río Corrientes.

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